Landschaftsfotografie in Georgien - Tag 1

2. & 3. September 2024

Es ist mein zweites Mal in Georgien. Trotzdem weiß ich nicht was mich diesmal erwartet. Das Land ist voller chaotischer Schönheit.
Ich lande mit meinem Nachtflieger in Kutaissi und mein Fahrer holt mich trotz der späten Stunde mit freundlicher Begrüßung ab. Die Fahrt zu meinem Hotel beginnt in einem alten Mercedes, der für den Mann mittleren alters ein enger Freund zu sein scheint. Er erzählt begeistert, dass sein Vater diesen vor 20 Jahren eigenhändig von Deutschland über Griechenland und die Türkei nach Georgien gebracht hat, was im Herzen des Kaukasus gar nicht so unüblich ist. Die Nacht, die ich in Kutaissi verbringe ist kurz. Um 4 Uhr Ortszeit (2 Stunden später als in Deutschland) lege ich mich im klimatisierten Zimmer schlafen und schließe meine Augen.

Mein Wecker klingelt. Es ist 8 Uhr morgens. Keine so ungewöhnliche Zeit um aufzustehen, aber mein Körper will diese Zeitumstellung noch nicht so richtig wahrnehmen. Ich plane den Bus um 9 Uhr zu nehmen, der nach Mestia fährt. Vorher kaufe ich noch ein deftiges Frühstück. Die Köstlichkeit nennt sich Kubdari, ein Brot gefüllt mit Fleisch, typischen Gewürzen und frisch aus dem Ofen. Die Menschen sind freundlich, obwohl sie wenig Englisch verstehen. Mein Zeigefinger leistet beim Bäcker Schwerstarbeit und ich kann mit seiner Unterstützung meine erste Mahlzeit seit über 18 Stunden zu mir nehmen.
Auch die vielen Straßenhunde sind vom Geruch meines Frühstücks begeistert und begleiten speichelnd meine ersten Bisse. Ich flüchte in meinen in Kürze abfahrenden Bus.

Kubdari

… ein georgisches gefülltes Brotgericht, das vor allem bei den Schwanen ein Nationalgericht ist. Das Brot wird gesäuert und aufgehen gelassen. Die Füllung enthält Fleischstücke, die Lamm-, Zicklein- oder Schweinefleisch sein können, georgische Gewürze und Zwiebeln.

Die georgischen Minibusse, auch Mashrutkas genannt, sind nicht gerade für ihren Komfort bekannt, und so finde ich mich im hinteren Teil des Busses, in eine Ecke gedrängt, wieder. Vor mir liegen sechs Stunden Fahrt, ohne jeglichen Bewegungsspielraum für meine Beine, und ich beginne bereits, mich mental auf das bevorstehende Martyrium vorzubereiten. Doch bevor die Tortur überhaupt richtig beginnt, werde ich überraschend erlöst: Ein weiterer deutscher Mitreisender, der bei seinen beiden Freundinnen hinten sitzen wollte, bietet mir an, die Plätze zu tauschen. Zu meinem Erstaunen entpuppt sich dieser neue Platz als der absolute Jackpot des Minibusses: Ganz vorne rechts, direkt neben der Tür – und, man mag es kaum glauben – der einzige Sitz mit wahrer Beinfreiheit!

Während ich auf meinem neuen Luxusplatz sitze, frage ich mich, welche Freundschaften es wohl wert sind, einen solchen Platz zu opfern. Nach einiger Überlegung komme ich zu dem Schluss, dass die Liste der Menschen, für die ich meinen Platz hergeben würde, vermutlich sehr klein, wenn nicht sogar leer ist. Wahrscheinlich liegt es an meinem Egoismus – oder vielleicht einfach an meiner Körpergröße. Schändlicherweise vermute ich, dass eher der Egoismus der Grund ist.

Während der wenigen Pausen auf der Fahrt komme ich kurz mit einem Australier ins Gespräch, der ebenfalls ein begeisterter Fujifilm-Fotograf ist. Es wird mir bewusst, dass man selbst auf Solo-Trips wie diesem nie wirklich allein ist. Und das ist auch gut so. Denn obwohl mein Hauptziel dieser Reise das Fotografieren und Erkunden von Landschaften ist, bleiben mir die Begegnungen mit Menschen ebenso stark in Erinnerung wie die beeindruckendsten Gipfel. Oder, in diesem Fall, der bequemste Sitzplatz.

Nach knapp sechs Stunden, kurvenreichen Gebirgsstraßen und mehreren Nickerchen erreichen wir schließlich Mestia und werden direkt im Stadtzentrum abgesetzt. Bevor ich mein Gasthaus ansteuere, komme ich mit den drei Leuten ins Gespräch, die sich zu Gunsten meiner Beinfreiheit hinten in den Bus gezwängt hatten. Gemeinsam beschließen wir, ein Café aufzusuchen, um etwas zu trinken und zu essen. Das passt perfekt, denn die Lust auf einen georgischen Wein hatte mich schon länger begleitet. Auch der Australier aus dem Bus stößt zu uns. Der Wein enttäuscht nicht – genauso wenig wie die Unterhaltung, die in einer Mischung aus Englisch und Deutsch über den Tisch schwappt.

Ich stelle fest, dass Gespräche mit neuen Begegnungen den Geist erfrischen und die übliche Routine des Alltagsgeplänkels durchbrechen. Man plaudert über die unterschiedlichsten Dinge, und viele Fragen bleiben unausgesprochen. Am Ende kennt man nur einen Bruchteil des anderen Menschen, aber nicht sein gesamtes Wesen. Trotzdem nehme ich aus diesen kurzen Momenten und den wenigen Worten viel mit.

Nach diesem philosophischen Abstecher zurück zu den wesentlichen Dingen: Abendessen und das Nachtleben. Wir planen, uns am Abend in der Stadt wieder zu treffen, um die Bars des kleinen Ortes zu erkunden. Ich lege mich für eine Weile hin und gönne mir ein einfaches Abendessen. In meinem Lokal sehe ich sieben junge Männer, die bei einer Flasche Tschatscha ausgelassen feiern. Ihre Stimmung wirkt ansteckend, und ich nehme diese Energie mit in den Abend – und werde nicht enttäuscht.

Obwohl die kleine Stadt recht leer ist, verbringe ich einen angenehmen und unterhaltsamen Abend mit meinen neuen Bekanntschaften. Ich gehe mit einem guten Gefühl für die morgige Wanderung nach Hause und kann nun eindeutig erkennen, dass es sich lohnt für manche Leute einen guten Sitzplatz aufzugeben.

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Managing Expectations and Embracing the Adventure: Preparing for a Hiking Photography Trip in Svaneti, Georgia